Zwölf Bilder aus der Geschichte unserer Schule

Text und Fotos: Dr. Oliver Titzmann

Höhere Bildung in der Bergstadt Schneeberg hat Tradition. Schon vor über 400 Jahren existierte eine Lateinschule, ein so genanntes Lyzeum, das zu Beginn des 19. Jh. leider geschlossen werden musste. Wiederbelebt wurde es in einer neuen Schulform, einem Gymnasium, das ab 1888 schrittweise neu aufgebaut werden konnte und sich die repräsentativen Farben Königsblau und Gold als Schulfarben verlieh. Parallel dazu erhielt Schneeberg 1874 eine Lehrerausbildungsstätte, ein so genanntes Seminar. Wie beides zusammengeführt wurde und wie sich das Gymnasium bis heute weiterentwickelte, erklärt die kleine Bilderschau.

1 1872 begann auf dem Clausberg der Bau eines wuchtigen Gebäudekomplexes für ein Lehrerseminar im Stil der Neorenaissance. Es war bewusst als bauliches Gegenstück zur dominanten St. Wolfgangskirche auf dem gegenüberliegenden Schneeberg gedacht. Das hier schon stehende Haus der Freimaurerloge (rechts im Bild), die ihren Neubau gegenüber auf der anderen Straßenseite fand, wurde durch einen Übergang mit dem Hauptgebäude verbunden und als Direktorenwohnhaus genutzt. Heute ist es unser K-Gebäude mit den beiden Kursräumen und der Hausmeisterwohnung. 1874 konnte der Lehrbetrieb mit den ersten Seminaristen (heute Lehramtsstudenten) aufgenommen werden. So erklärt sich auch die Bezeichnung „Seminarstraße“. Doch gibt es nicht auch eine „Gymnasialstraße“ in der Stadt?

2 In diesem heute nicht mehr existenten Gebäude im Rosenthal erfolgte 1888 die Einrichtung eines Progymnasiums. Hier wurde die erste damalige Kursstufe etabliert. 1891 packten die Schüler mit ihren Lehrern die Bücher, Unterrichts- und Lehrmittel sowie sämtliche Einrichtungsgegenstände zusammen und zogen mit Pauken und Trompeten in die Gymnasialstraße. Hier räumten sie mit der Freude der Aufbruchsstimmung ihr neues Lehrgebäude ein. Es soll übrigens viel Bier geflossen sein …

3 Das ist der Ort des erwähnten Bierflusses. Im Frühjahr 1891 begann hier das Lehren und das Lernen. Und da war Nüchternheit oberstes Gebot. Die Schule hatte eine Traumlage, war voll in das Leben der Stadt integriert und erwarb sich schnell einen überregional bekannten guten Ruf. Schüler aus dem ganzen Westerzgebirge lernten und lebten unter der Woche in der Stadt. Sie waren in Privatquartieren untergebracht, denn ein Schülerheim gab es noch nicht. Wer wissen will, wie es hier so zuging, sollte sich unbedingt den Spielfilm „Die Feuerzangenbowle“ aus dem Jahr 1944 mit Heinz Rühmann als Pennäler anschauen. Pennäler? Ach ja, die Schüler einer „Höheren Lehranstalt“ nannten ihre Schule gemeinhin „die Penne“.

4 Was machten unsere Schüler vor 120 Jahren in ihrer Freizeit? Sie tanzten und musizierten, malten und dichteten, spielten Theater und trieben Sport. Der neueste Sport kam – wie damals fast alles – aus England. Sie nannten es „football“. Die Regeln waren schnell erklärt, ein Platz rasch gefunden. Er lag in Griesbach, rechts an der Straße nach Zwickau. Das Haus im Hintergrund steht heute noch. Die Jungen trugen bei Auswärtsspielen stolz unsere Schulfarben: Königsblau und Gold. Weiße Sportsachen, Gamaschen, Fußballschuhe, Schärpe und natürlich die Schulmütze (ein solches Exemplar liegt im Foyer im Schaukasten unseres Fördervereins) und schon begann das Kicken - auch das Wort kam mit dem Fußball von der Insel.

5 „Lass es leben, lass es wachsen, lass es gedeihen“, so steht es auf dem Spruchband am Panier. Das war der Wahlspruch des Musikvereins unseres Hauses. Das kulturelle Leben war reichhaltig. Hier nicht mit dabei zu sein, machte einen zum Außenseiter. Stolz trug das Königliche Gymnasium zu jeder Gelegenheit seine herrlichen Schulfarben. Auf dieser Postkarte schickten die an der Saale wandernden und bekannte Lieder singenden Schüler ihrer Musiklehrerin viele Grüße: „Dort Saaleck, hier die Rudelsburg, so haben wir es jetzt gesungen. Dabei wurde ich an Sie, verehrtes Fräulein Rothenbach, erinnert. Hoffentlich geht es Ihnen, wie Ihrer verehrten Frau Mutter, recht gut und begrüßen Sie aufs freundlichste als Ihr ganz ergebener Herbert Funke (und weitere Namen)“. Frauen unterrichteten damals, bis sie verheiratet waren. Alle Lehrerinnen waren somit ein „Fräulein“.

6 Zum 25. Schuljubiläum im Frühjahr 1913 organisierten die Sportlehrer ein großes Schauturnen im Stil der Zeit. Auf dem Sportplatz hinter dem Schulhaus an der Gymnasialstraße nahmen die Schüler Aufstellung und demonstrierten im Gleichklang der Bewegungen Disziplin und Körperbeherrschung. Alle Jungen werden sich nur ein Jahr später eine Uniform anziehen und in den Krieg ziehen. Jeder dritte Schüler wird verwundet oder gar nicht mehr heimkehren. Was die Jungs so fühlten, kann man gut empfinden, wenn man Erich Kästners traurig-wütendes Gedicht „Primaner in Uniform“ liest..

7 Viel hat sich nicht verändert am „Kasten“. Diese Bezeichnung gaben die Seminaristen ihrem Lehrgebäude, weil das Haus wie ein Kasten wirkt. Die Schüler werden den Begriff bald übernehmen. Heute fehlen dem Haus die spitzen Aufbauten der Dachfenster, die eisernen Zierstangen und der das Haus gliedernde plastisch aussehende Anstrich der Pilaster. Die Schulreformen nach dem Ersten Weltkrieg veränderten auch die Ausbildung der Volksschullehrer. So wurde das Seminar in dieser Form nicht mehr gebraucht. Ab 1923 begann eine schrittweise Verschmelzung mit dem nun als „Staatsrealgymnasium“ bezeichneten ehemaligen Königlichen Gymnasiums an der Gymnasialstraße, das schon seit geraumer Zeit an der Beengtheit des dortigen Schulgebäudes litt. 1926 erfolgte der Umzug von der Gymnasialstraße in die Seminarstraße. Hier wurde unsere Schule als „Reformrealgymnasium“ heimisch. Reformierte Lehrmethoden sollten die Schüler auf die Herausforderungen einer neuen Zeit vorbereiten.

8 Schüler haben nichts als Unsinn im Kopf. Hier sehen wir die Prima, die damalige Kursstufe. Sie sitzt im naturwissenschaftlichen Kabinett und scheint nicht alles so ernst zu nehmen, wie sie es doch nehmen sollte, so meinten es jedenfalls ihre Lehrer. Zusammen erbrachten sie Ergebnisse, die den guten Ruf des Hauses weit nach Sachsen hinein trugen. Da die Schüler nur am Wochenende zu Hause waren, richtete die Verwaltung in der 4. Etage unseres Hauses ein Schülerheim ein. Dort, wo sich heute die Vorbereitungszimmer und die Bibliothek befinden, schliefen früher die Schüler. Ein Aufsicht führender Lehrer wohnte nur eine Etage unterhalb hier im Haus. Ob er alles mitbekommen hat, was die Schüler nachts so veranstalteten? Allein diese Schulgeschichten könnten ein ganzes Buch füllen …

9 Wie viele Schüler werden schon durch diese Schultür gegangen sein? Jeden Tag noch müde und oft mit mulmigem Gefühl hinein. Und nach Schulschluss mit Jubel und im Renntempo hinaus. Seit der Zeit des Reformrealgymnasiums besuchen die Mädchen die Schule mit den Jungen gemeinsam. Ob das wohl gutgeht, unkten die Alten. Können Mädchen überhaupt diese geistigen Leistungen vollbringen? Vielleicht lenkt deren Anwesenheit die Jungen auch viel zu sehr ab? Alle Bedenken hat die Zeit grandios „ad absurdum“ geführt. Ach ja, Latein war damals noch ein Hauptfach. Und Altgriechisch konnte man an unserem Haus auch noch lernen.

10 Schulen müssen wohl immer mal reformiert werden, damit sie den Erwartungen der jeweiligen Gesellschaft entsprechen. 1938 erfuhr unser Gymnasium die nächste tiefgreifende Umgestaltung. Mit der Umbenennung in Staatliche Oberschule für Jungen „Theodor Körner“, die weiterhin auch von den Mädchen besucht werden konnte, erfolgte eine deutliche Ausrichtung im Sinne des totalitären Staates. Schon mit dem Kriegsbeginn wurden die ersten Lehrer und bald auch die ältesten Schüler eingezogen. 1942 musste die Schule das Gebäude vollständig räumen und verzog in einen Flügel der ehemaligen Bürgerschule unterhalb des St. Wolfgang. Unser Schulgebäude selbst wurde zu einem Reservelazarett. Tausende verwundete deutsche Soldaten fanden bis zum Mai 1945 hier Aufnahme.

11 Nach der Räumung des Lazaretts beschlagnahmte die sowjetische Besatzungsmacht das Gebäude an der Seminarstraße und machte es zur Stadtkommandantur und Kaserne. Im Hof standen Militärfahrzeuge und im heutigen Schulpark weideten die Pferde der Sowjets. Der Schulbetrieb der Oberschule wurde in die nicht mehr weiter betriebene „Zeichen- und Gewerbeschule“ an der Schillerstraße verlegt. Die Schulreform 1959 machte daraus eine „Erweiterte Oberschule“ (EOS), die 1963 den Ehrennamen „Johann Gottfried Herder“ verliehen bekam. Daran geknüpft wurde die Erwartung, dass die Schüler auch über ihre Leistungen ein Bekenntnis zum sozialistischen Staat ableisten.

12 Nach der Räumung des Schulgebäudes an der Seminarstraße kehrte 1956/57 neues schulisches Leben in das Haus zurück. Nach einer gründlichen Renovierung wurde es als Polytechnische Oberschule (POS) „Johannes. R. Becher“ genutzt. Hier erhielten die Schüler eine allgemeine Bildung, die sie mit der 10. Klasse beendeten. Infolge der Umstrukturierung des Schulwesens im Zuge der deutschen Wiedervereinigung benötigte die höhere Schulbildung deutlich größere Räume, um die vielen Schüler, die den gymnasialen Bildungsweg wählten, unterbringen zu können. Dafür reichte das kleine Schulgebäude an der Schillerstraße nicht mehr aus. Es blieb dem neuen Gymnasium „Johann Gottfried Herder“ als Nebengebäude für die Klassen 5 - 7 vorläufig erhalten. Die Klassen 8 – 12 bezogen 1992 das kernsanierte große Gebäude am nunmehrigen „Dr.-Köhler-Platz“, der den Namen eines verdienten Seminaroberlehrers des alten Königlichen Seminars der Stadt erhalten hat.